Irrwitziges Gemisch
„Kaff auch Mare Crisium'' im Theater o. N.
Dieses Spiel erscheint so einfach
und so leicht, und doch ist es eine raffinierte Gratwanderung der beiden
Schauspieler – Ania Michaelis und Hartmut Mechtel – innerhalb der klippen-und
ebenenreichen Kunst-Welt des Arno Schmidt. Die zwei bilden ein ungleiches
Paar, das allabendlich ein Ritual erfüllt. Sie lesen einander Arno Schmidt
vor. Das ist ihre Kommunikationsform, ihre einzige. Sie lesen aus Kaff
auch Mare Crisium (das I960 erschien) und werden dabei (ohne eine
eindeutige Zuordnung anzustreben) fast beiläufig den Romanfiguren ähnlich:
dem kauzigen, phantasiereichen Lagerbuchhalter Karl Richter, der sich
ausmalt, wie sich nach einem Atomschlag auf der Erde die irdischen Torheiten
auf dem Mond fortsetzen, und seiner Freundin Hertha.
Handlungsort ist die plüschige
Stube von Tante Heete in Giffendorf, einem Kaff in der Lüneburger Heide.
Hier wird Front gemacht gegen die 50er-Jahre-Republik, hier wird dörflicher
Enge ausschweifende Kosmologie entgegengesetzt, hier werden - immer
mit dem Buch in der Hand — erotische Phantasien durchlebt. Das Nibelungenlied
wird zu einer Travestie, einem „Heldengedicht aus dem 'Great Old War'
von 40-45" umgedichtet. Es wird Fleisch gebrutzelt, das später
aus dem Fenster fliegt, und Tee auf die Dielen geschüttet, als die SÜNDFLUTH
naht. Weil der Autor Arno Schmidt „tausende von Fi- & Rafinessen
in allen Spalten und Ritzen" zu verstecken suchte (sozusagen überall
Links gesetzt hat), entsteht ein irrwitziges Gemisch aus Phantasie und
trister Wirklichkeit.
Die Spieler waren klug beraten, nicht den
ganzen Reichtum der Beziehungen und Bedeutungen aufspüren zu wollen.
Sie haben sich – trotz aller skurrilen Verlockungen - in der szenischen
Umsetzung beschränkt und sind dafür mit Genauigkeit und sinnfälliger
Genussfreude den ausgefallenen Spracherfindungen von Arno Schmidt gefolgt.
So erzeugen sie Lust, mal wieder oder überhaupt mal Arno Schmidt zu
lesen.
Barbara Fuchs