2001: Die Abrafaxe - Unter schwarzer Flagge
Der Roman zum Film
Nach dem Drehbuch von Richard Everett, Thomas Platt und Julius
Grützke
Mosaik Steinchen für Steinchen Verlag GmbH
Klappentext:
Das hatten sich die Abrafaxe nicht träumen lassen! Eben
noch besuchten sie eine Museumssausstellung ... und plötzlich
finden sie sich inmitten karibischer Piraten wieder! Eine geheimnisvolle
goldene Schale beförderte die drei Freunde in ein längst
vergangenes Zeitalter. Hier werden sie in die Gefechte zwischen
Piraten und spanischen Eroberern verwickelt, lernen die schöne
Anne Bonny kennen und stoßen auf den grausamen Kapitän
Blackbeard. Beim Versuch, mit Hilfe der Schale wieder den Heimweg
zu finden, geraten sie in haarsträubende Ereignisse.
Der Roman zum Film erzählt von einem der größten
Abenteuer, das die Abrafaxe je erlebten.
|
|
Auszug:
1 Der Aufbruch
Der finstere schwarzbärtige Mann hatte sein Schwert erhoben und
wollte es der wunderschönen Frau, die davon nichts ahnte, in den
Rücken stoßen. Hoch über den Köpfen der beiden
flatterte der Jolly Roger, die schwarze Fahne der Piraten mit dem Totenkopf
und darunter den beiden gekreuzten Knochen. Die Fahne blähte sich
knatternd, obwohl in der großen Halle kein Wind wehte. Eine sinnreiche
Erfindung, ein kleines, von unten unsichtbares Gebläse, sorgte
für den stetigen Luftzug. Denn eine Fahne, die sich in den Wind
schmiegt, macht allemal mehr Eindruck als eine, die schlaff herunterhängt.
Und Eindruck sollte die Ausstellung machen. Das sollen alle Ausstellungen.
Die Halle gehörte zum Museum in der Telemannstraße. Die schöne
Frau und ihr wilder Mörder waren keine echten Menschen, auch wenn
sie so aussahen. Mit viel Geschick und voller Akribie hatten Künstler
sie nach alten Gemälden und Zeichnungen aus Wachs so präzise
nachgebildet, dass sie aussahen, als lebten sie. Und die Besucher der
Führung fotografierten sie denn auch geradezu exzessiv, denn eine
so lebenspralle Szene bekam man nicht oft vor das Objektiv.
Abrax starrte die Wachsfigur der Frau an. Sie war so unvergleichlich
schön und sah überhaupt nicht so böse aus, wie er sich
eine Piratin vorstellte. Ob sie im wirklichen Leben auch so schön
gewesen war? Hat sie tatsächlich so ausgesehen? Und war es dem
schwarzbärtigen Mörder gelungen, sie zu töten? Weshalb
wollte er sie überhaupt erdolchen? Konnten sie nicht friedlich
miteinander auskommen?
Wo Abrax war, da konnten seine Freunde Brabax und Califax nicht weit
sein. Sie standen neben ihm und lauschten etwas aufmerksamer als er
den Ausführungen der dicken Museumskuratorin. Die Frau hatte eine
angenehme Stimme und wusste sehr interessant über die Ausstellung
und deren Hintergründe zu plaudern.
"Das legendäre Gold von Eldorado", sagte sie, "ist
eines der letzten Geheimnisse aus dem Zeitalter der großen Entdecker.
Ungelüftet blieb es bis zum heutigen Tag. Man vermutete es in Mittel-
und in Südamerika, und Tausende von Glücksrittern machten
sich auf, es zu finden. Eldorado erreichten sie nicht, wohl aber plünderten
sie die Schätze der Inkas und Azteken und schleppten auch sonst
aus den gerade entdeckten Ländern mit, was sie nur bekommen konnten.
Wenn es kein Gold war, dann wenigstens Gewürze, Kartoffeln, Getreide.
Voll mit abenteuerlustigen Desperados fuhren die Galeonen von Spanien
über den Atlantik, und oftmals schwer beladen mit indianischem
Goldschmuck, mit Schalen, Vasen oder eben auch mit Nahrungsmitteln kehrten
sie nach Spanien heim. Falls sie den Weg schafften."
Die Kuratorin zeigte auf den Jolly Roger, den "fröhlichen
Rüdiger", wie der grinsende Totenkopf auf der Flagge genannt
wurde. "Die schwarze Flagge mit dem Totenschädel verbreitete
auf den sieben Weltmeeren einst Angst. Bei ihrem Anblick fuhr vielen
mutigen Seefahrern und auch den spanischen Desperados der Schreck in
die Glieder, denn unter dieser Flagge segelten die Piraten! Auf der
Suche nach den Schätzen und Reichtümern des sagenhaften Eldorado
oder doch wenigstens denen der indianischen Hochkulturen machten im
17. Jahrhundert Horden von Piraten die Karibik unsicher. Vergeblich
versuchten die spanischen Eroberer mit ihren Galeonen, die Meere und
ihre eigenen Schiffe abzusichern."
Die Kuratorin lief ein paar Schritte weiter und blieb vor den beiden
Wachsfiguren stehen. "Pirat zu sein", sagte sie und deutete
auf den Freibeuter mit der Waffe; "war ein männlicher Beruf.
Normalerweise gab es keine Frauen an Bord eines Schiffes, weil man damals
glaubte, das bringe Unglück. Um so erstaunlicher, dass es doch
ein paar Frauen gab, die es unter den Piraten zu einer angesehenen Stellung
brachten. Die berühmteste war wohl Anne Bonny. Ihre Lebensdaten
sind unklar. Die Legende besagt, dass sie ebenso gefährlich wie
schön war. Sie soll der Hand des grausamen Piraten Blackbeard zum
Opfer gefallen sein."
Die Kuratorin schaute auf ihre Uhr. Für heute hatte sie genug geredet,
dachte sie. "So war das also damals, verehrte Damen und Herren",
schloss sie ihre Ausführungen. "Die Piraten und das Gold von
Eldorado leben weiter - in Büchern, in der Phantasie unserer Kinder
- und in unserem Museum. Sollten Sie in der nächsten Woche wiederkommen,
wird der zweite Teil unserer Ausstellung fertig sein. Kommen Sie ruhig,
es lohnt sich. Sie werden dann unter anderem eine berühmte Goldschale
der Azteken bewundern können."
Die Kuratorin und der alte Museumswächter wandten sich dem Ausgang
zu, und die Herde der Besucher trottete hinterher. Nicht so die Abrafaxe.
Abrax stand immer noch vor den Wachsfiguren und starrte Anne Bonny an,
und Brabax war auf Erkundung gegangen.
"Meine Damen und Herren", sagte der alte Museumswächter
an der Tür, "beeilen Sie sich bitte, das Telemann-Museum schließt
jetzt." Die Aufforderung war unnötig, denn die Besucher waren
schon an der Tür angelangt. Im Gedränge bemerkte der Wächter
nicht, dass drei Besucher zurück geblieben waren. Und die hörten
ihn gar nicht, abgesehen von dem kleinen dicken Califax, der, wie fast
ständig, Hunger hatte und einen saftigen Braten jeder Piratenausstellung
vorzog.
Eine Klingel ertönte - wie im Theater, bevor die Vorstellung beginnt,
nur dass sie hier signalisieren sollte, dass das Museum schließt.
"Kommt schon, Jungs, verdrücken wir uns", sagte Califax
in nörgligem Ton. Abrax, der direkt vor ihm stand, beachtete ihn
nicht, und Brabax war gar nicht zu sehen. "Brabax!" rief Califax,
und dann wandte er sich direkt an Abrax und fragte ihn, ob er Brabax
gesehen habe, doch der schüttelte abwesend den Kopf und starrte
weiter die schöne Piratin an.
Brabax meldete sich von allein. Er war über ein Absperrseil geklettert,
hatte eine Tür geöffnet und hielt das, was dahinter verborgen
war, für so interessant, dass er seine Freunde rufen musste. Er
schaute aus dem Türspalt und winkte sie zu sich. "Hierher!"
Der Wächter klinkte von draußen die Tür zu. "Für
heute hätten wir's geschafft, Gnädigste", sagte er.
"Machen Sie noch einen letzten Rundgang, Heinrich", forderte
ihn die Kuratorin auf. "Dann können Sie gehen."
"Geht in Ordnung", erwiderte der Wächter und öffnete
einen Schaltkasten an der Wand. Er löschte das Saallicht.
Califax, der gerade über das Absperrseil kletterte, stolperte,
entweder, weil er zu dick war, oder weil er sich über die plötzliche
Dunkelheit erschrocken hatte. Klirrend fielen zwei der Ständer
zu Boden, an denen das Seil befestigt war.
Das Geräusch war auch vor der Tür zu hören. "Was
war das?" fragte die Kuratorin.
Der alte Heinrich, der keine Lust hatte, noch einmal nachzusehen, wiegelte
ab: "Keine Sorge, sicher nur die Ratten."
Da hatte er die falsche Ausrede gewählt. "Wie bitte?"
fragte die dicke Chefin pikiert. "Seit wann haben wir hier Ratten?
Sie sollten mich doch informieren, Heinrich, sobald hier irgend etwas
nicht in Ordnung ist!" Ergeben nickte Heinrich und richtete sich
auf eine längere Strafpredigt ein.
Im Nebenraum der Piratenausstellung, den Brabax entdeckt hatte, sollte
der zweite Teil der Exposition aufgebaut werden. Vieles stand schon
herum, einige Leitern und Seile, aber auch schon Statuen und in einer
Ecke eine Sammlung von Schwertern, Lanzen und anderen historischen Waffen.
"Sollten wir nicht langsam verschwinden?" nörgelte Califax.
"Das Museum schließt jetzt."
"Entspann dich, Califax", sagte Abrax und zog aus dem Waffenständer
ein Schwert. Er schwang es fachgerecht, denn von Waffen verstand er
etwas, und dabei rief er seinen imaginären Gegnern zu: "Keinen
Schritt weiter, Schurken! Ergebt euch, oder ihr spürt meine Klinge!
Ha! Und da!" Er focht mit seinen unsichtbaren Widersachern, bis
Califax ihn aus der Stimmung brachte.
"Ja, ja, sehr witzig!"
Abrax ließ das Schwert sinken.
"Hört mal, Jungs", sagte Califax und bemühte sich,
nicht allzu nervend zu klingen, "wir sollten wirklich los. Ich
brauch dringend was zwischen die Zähne!"
Das war, wenn man den kleinen Dicken schon so lange kannte, natürlich
einzusehen, und so steckte Abrax das Schwert wieder zurück in die
Halterung, doch in dem Augenblick rief Brabax die beiden zu sich heran:
"Das müsst ihr gesehen haben! Kommt her!"
Califax glaubte nicht, dass er irgend etwas anderes dringend sehen müsste
als ein Hühnchen am Spieß, also blieb er stehen, während
Abrax zu seinem Freund hinüberging.
Das Abendlicht fiel durch die Fenster der großen Museumshalle
und tauchte alles in graue Farbe. Nur die Schale, vor der Brabax stand,
strahlte so golden, als würde sie in der Sonne stehen. Sie war
mit in mehreren Kreisen angeordneten seltsamen Zeichen verziert, die
mehr zu sein schienen als nur Ornamente. Ganz außen standen drei
goldene Griffe ab. Genau in der Mitte befand sich ein grüner Halbedelstein.
Brabax hatte eine Pappkarte gefunden, von der er vorlas: "Die goldene
Schale des Montezuma galt lange Zeit als der Schlüssel zum Schatz
der Azteken. Doch niemandem gelang es, ihr Geheimnis zu lüften
... Das ist die, von der die dicke Kuratorin gesprochen hat."
"Los, Jungs", nörgelte Califax, "wenn wir uns nicht
beeilen, können wir hier übernachten!"
Obwohl er unzweifelhaft recht hatte, hörte niemand auf ihn. Brabax
nahm die Schale in die Hand und versuchte ihr Geheimnis mit seinem scharfen
Verstand zu ergründen. "Seht ihr die seltsamen Zeichen?"
fragte er. "Ich wette, das ist irgendein Code!"
Califax, der noch immer am Eingang stand, sah gar nichts, und er wollte
auch nichts sehen. "Vorsicht, Leute, fasst das Ding lieber nicht
an!" warnte er.
Brabax bemerkte plötzlich, dass sich der äußere Ring
der goldenen Schale bewegte. Fasste man nur geschickt genug an, ließ
er sich drehen. Brabax versetzte ihn in Schwung. "He! Sie bewegt
sich!"
"Okay, mir reicht's", sagte Califax entschlossen. "Ich
haue ab!"
Abrax wandte sich von der Schale ab und seinem Freund zu: "Oh Mann,
Califax! Hör endlich auf zu nerven!"
Wie ein Ball sprang Califax auf ihn zu, baute sich direkt vor ihm auf
und sah ihm voller wütender Energie in die Augen. "Hör
zu: Das Museum schließt jetzt. Wir haben hier nichts verloren.
Also lasst uns endlich ver-schwin-den!!"
Er riss Brabax die Schale aus der Hand und warf sie zurück auf
die halbhohe, runde, mit indianischen Ornamenten verzierte Säule,
auf der sie gestanden hatte. Dabei bewegte sich der äußere
Ring, und auf einmal funkelte und leuchtete es über der Schale.
"Oh, oh", brachte Brabax heraus.
"Was hast du denn jetzt angestellt?" sagte Abrax.
"Nichts! Ich habe überhaupt nichts gemacht!" verteidigte
sich Califax. "Das ist ja richtig unheimlich!"
Das Leuchten wurde stärker, Blitze zuckten aus der Schale, fuhren
in die Luft und an der Säule herunter, auf der die Ornamente einen
Totenkopf bildeten. Aus den Blitzen wurde ein dicker Strahl, der in
die Unendlichkeit zu reichen schien, eine Säule aus Licht, die
das Dach der Halle durchdrang und deren Ende nicht zu sehen war. Vom
Licht ging ein Sog aus, ein körperlicher Sog, den die drei Freunde
spürten. Es war ihnen unmöglich, von dem Sog zurückzuweichen.
Sie konnten sich nur die Hände geben und aneinander festklammern.
Im Kreis standen sie um die Schale und die unheimliche Lichtsäule
herum und konnten doch der Kraft nicht widerstehen. Auf einmal löste
sich der Boden unter ihren Füßen auf, die ganze Halle verschwand
in einem Strudel aus rötlichem Licht. Das einzige, das ihnen festen
Halt zu geben versprach, das einzige, das aus ihrer Welt der Gegenstände
überhaupt noch übriggeblieben war, das war die goldene Schale
des Montezuma, und so ließen sie sich denn los, ohne auch nur
eine Sekunde zu überlegen, und krallten sich an der Schale fest.
Sie wurden in den Wirbel hineingerissen, es war wie ein Tornado, nur
nicht so konkret, so greifbar, denn es war ein Wirbel durch das Nichts
ins Nirgendwo. Sie kreiselten mit der Schale um die Schale herum. Und
der Schrecken nahm kein Ende. Abrax und Brabax krampften sich, verbissen
schweigend, am goldenen Rand fest, Califax hingegen schrie vor Angst
und Unbehagen.
"Nein!" schrie Califax.
"Bleib ruhig!" sagte Brabax.
Und wieder eine Runde durch das rötlich wirbelnde Nichts, und noch
eine, und noch eine. Das wurde Califax zuviel.
"Ich gehe jetzt nach Hause!" rief er und ließ die Schale
los.
"Nein!" schreien die beiden anderen, aber es war zu spät.
Califax wirbelte davon und war binnen Sekundenbruchteilen nicht mehr
zu sehen.
"Califax!!" schrieen seine Freunde. Sie wirbelten weiter und
weiter, doch während sie am Anfang das Gefühl gehabt hatte,
aufzusteigen - sofern man im Nichts überhaupt eine Richtung ausmachen
kann -, wähnten sie jetzt, abzustürzen. Der Sturz wurde immer
schneller, Blitze umzuckten sie, und nun ließ auch der zierliche
Brabax die Schale los, doch stürzte er neben Abrax weiter.
Bei einem Sturz aus so großer Höhe hätten sie beim Aufschlag
zerschmettert werden müssen, doch war die Landung fast weich, gerade
so, als ob sie aus ganz normalem Stand umgefallen wären. Also waren
sie nicht wirklich durch den Raum geflogen. Durch was aber sonst? Das
wusste im Augenblick noch nicht einmal Brabax.
Abrax rappelte sich auf und presste die goldene Schale an seine Brust.
"Wo sind wir?" fragte er.
"Keine Ahnung."
"Mann, ist mir schwindlig. Um mich herum schaukelt alles."
"Das könnte daran liegen, dass wir auf einem Schiff sind."
Im Schummerlicht hinter sich sahen sie Säcke, vor ihnen standen
Kisten. Taue schwangen sich durch den Laderaum. Von fern her fiel Tageslicht
durch eine offene Luke in der Decke. Alles um sie herum, der Rumpf,
die Wände, die Decke, war aus Holz gebaut. Definitiv kein modernes
Schiff, das war auf den ersten Blick zu sehen. Es ähnelte eher
den Schiffen, von denen ihnen bereits in der Piratenausstellung ein
Eindruck vermittelt worden war - auf Bildern und durch Nachbauten einiger
Teile, bevor sie zu Anne Bonny und ihrem Mörder gekommen waren.
Das war erst vor zehn Minuten gewesen und schien doch schon Ewigkeiten
her zu sein.
"Was sollen wir denn hier?" fragte Abrax ratlos.
"Keine Ahnung." Brabax war nicht weniger verwirrt. "Suchen
wir erst einmal nach Califax."
"Wo steckt der Angsthase bloß?"
Sie liefen durch den Laderaum auf das Licht zu. Unter der Luke sahen
sie, verstaut neben großen Spanten, mehrere Fässer stehen,
aber ihr Freund war nicht dort.
"Califax!" riefen sie beide, und noch einmal: "Califax!"
Er antwortete nicht. Wenn er nicht vor Angst das Bewusstsein verloren
hatte, dann war er nicht in der Nähe. Er hatte die Schale so früh
losgelassen, dass er sonstwo gelandet sein konnte. Wenn er denn gelandet
war. Wenn er nicht noch immer in dem Wirbel dahintrieb, ohne Weg, ohne
Ziel. Sie wussten nicht, was aus ihm geworden war, und da sie es nicht
wussten, konnten sie ihm auch nicht helfen. Noch einmal riefen sie den
Namen. Califax blieb verschwunden.
2 Die Matrosen
"Was war das?" fragte Carlos und rappelte sich auf. Er hatte
neben der Kanone gelegen und geträumt.
"Was war was?" fragte Juan zurück, der auf der anderen
Seite der Kanone gelegen hatte und nun durch seine dunkle Brille hinüberschaute.
"Klang wie ein Kind", sagte Carlos.
"Ich habe nichts gehört", erwiderte Juan. "Glaube,
ich bin zu lange auf See."
Die beiden lachten, als sei das ein Bombenwitz gewesen.
Carlos war ein mittelgroßer bulliger Mann, der fast keinen Hals
hatte. Dafür waren sein buschiger Schnauzbart und vor allem der
tonnenförmige Bauch desto größer. Er trug pludrige weiße
Hosen und eine kurze grüne Weste, die offenkundig für einen
schmaleren, kleineren Mann gefertigt worden war. Die gesamte Brust und
vor allem der gigantische Bauch waren nackt. Die Temperaturen in der
Karibik waren so angenehm, dass er niemals fror. Außerdem konnte
er von seinen Fettreserven zehren. Auf dem Kopf trug er, als einziges
Zeichen, dass er auf einem Kriegsschiff diente, einen Helm. Doch war
er kein Soldat, sondern, wie sein Freund Juan, Matrose.
Nur einen Kopf größer als der fette Carlos, wirkte Juan noch
länger, weil er dürr war. Sein Hals war mindestens doppelt
so lang wie der seines Freundes, doch verschwand er hinter der dichten
Matte seines langen Vollbartes. Die Haarflut bändigte er - ohne
nennenswerten Erfolg - mit einem Stirnband; die Haare standen in Strähnen
ab wie der Federschmuck eines Indianers. Seine grüne Weste war
kaum größer als die des Dicken, doch bedeckte sie seinen
schmalen Körper so gründlich, dass nur bei hastigen Bewegungen
der nackte Oberkörper aus dem schmalen Spalt über Brust und
Bauch aufblitzte, und hastige Bewegungen vermied er nach Möglichkeit.
Nicht weil er dann gefroren hätte - auch ihm war die Karibik warm
genug -, sondern weil er generell für nichts zu begeistern war,
was irgendwie mit unnötigen Bewegungen zusammenhing. Vor allem
nicht mit Arbeit. Und gemeinsam mit Carlos verstand er es, alles bestmöglich
zu vermeiden, was auch nur entfernt an Arbeit erinnerte.
Dafür hatten sie sich natürlich den falschen Ort ausgesucht.
Auf einer Galeone gab es stets viel zu tun, jedenfalls für Matrosen.
Die Soldaten hingegen konnten auf einer Seereise meist ausruhen, sie
kamen ja erst zum Einsatz, wenn sie am Ziel waren, an Land, allenfalls
noch bei der Abwehr feindlicher Angriffe auf See, doch das kam selten
genug vor und war auf dieser Reise bisher jedenfalls nicht geschehen.
Juan und Carlos waren Meister darin, sich an Bord zu bewegen, als wären
sie Soldaten: nämlich gar nicht. Ging es um das Setzen oder Reffen
der Segel, hatten sie dringend unter Deck zu tun. Sollte der Mannschaftsraum
geschrubbt werden, kümmerten sie sich bei Flaute um die Segel.
Und jetzt saßen sie unter Deck und kamen dem Auftrag nach, die
Kanonen zu warten. Das missverstanden sie sehr wörtlich; sie pflegten
die Kanonen nicht, sondern warteten bei ihnen darauf, dass sie den nächsten
Ruf an Deck gründlich überhörten. Da sie sich stets um
die Kanonen kümmerten, hatten sie eine in eine kleine Rumfabrik
umfunktioniert. Zwei Fässer, gefüllt mit einem schweren Portwein
und mit scharfem Schnaps, waren zu beiden Seiten oberhalb der Kanone
befestigt. Im Kanonenrohr mixten sich die Getränke und konnten
am Ende der Kanone aus einem eigens angebrachten Hahn gezapft werden.
Wenn es um ihr Laster ging, scheuten sie keine Mühe. Und dass die
Kanone zu nichts mehr zu gebrauchen war, würde beim allgemeinen
Schlendrian an Bord sicher nur im Ernstfall bemerkt werden. An den Ernstfall
glaubten sie nicht. Juan und Carlos waren glücklich - so glücklich,
wie man es als Matrose an Bord einer spanischen Galeone nur sein kann.
Ihre Gespräche kreisten fast ausschließlich um das, was sie
am meisten interessierte, und das war das Trinken. So hatten sie denn
den folgenden Dialog schon dutzende, wenn nicht hunderte Male geführt,
und wenn alles gut ging, würden sie ihn noch weitere hundert Male
führen.
"Das ist eine Riesenidee hier, Juan. Unsere eigene kleine Rumfabrik!"
"Ja, solange uns keiner erwischt. Bueno - willst du probieren?"
Was für eine Frage. Natürlich wollte Carlos! Juan füllte
den blechernen Becher, und Carlos probierte, indem er dessen Inhalt
hinunterkippte. Ach, war der gut! Er brannte und zog ihm Rachen, Kehle
und Eingeweide zusammen. Carlos stöhnte und zerquetschte vor Behagen
den Becher in seiner Pranke. "Uh, Amigo, das nenne ich", geräuschvoll
blies er die Luft aus seiner schnapsverbrannten Kehle, "Fffffeuerwasser."
Damit sagte er Juan nichts Neues. Der zapfte aus der Kanone sein eigenes
Getränk, dass der Becher überquoll, und kippte das Gebräu,
ohne dabei so animalische Laute wie Carlos hören zu lassen. Er
verzog nur ein wenig das Gesicht. Ja, das war eine besonders gute Mischung.
Würzig und scharf zugleich, und sie stieg sofort zu Kopf und erzeugte
ein angenehmes Gefühl. So ließ die Seefahrt sich aushalten.
Eine kindliche Stimme rief im Laderaum unter dem Kanonendeck: "Komm
schon, Califax! Das ist jetzt nicht mehr witzig!"
"Und ich sage dir: Ich höre etwas!" sagte Carlos leise
zu Juan. Der zuckte zusammen. Etwa eine Kontrolle? Nein, die wäre
ja von oben gekommen. Oder von der Seite.
"Es kommt von da unten!" sagte Juan erleichtert. Die beiden
erhoben sich, um nachzusehen. Sie waren zwar faul, aber auch neugierig.
Im Laderaum konnte eigentlich niemand sein. Der hätte an ihnen
vorbeigehen müssen, und trotz ihres Rausches hatten sie nicht geschlafen.
Im Laderaum hatten die Abrafaxe mehrere leere Fässer übereinandergetürmt,
um die Luke in der Decke zu erreichen. Das Holz war glatt, und es war
nicht leicht, bis zum oberen Fass empor zu klimmen. Obwohl sie längst
befürchteten, dass Califax nicht an Bord war, riefen sie nach ihm.
Was hätten sie sonst tun sollen, als nach ihm zu suchen?
"Califax! Bist du da oben?"
"Komm schon, Schluss mit dem Unsinn!"
In diesem Augenblick wurde das Holzgatter über ihnen aufgerissen,
und vor sich sahen sie ein riesiges, fettes Gesicht mit wulstigen Lippen
und einem gigantischen Schnurrbart. Etwas dahinter tauchte ein zweites
Gesicht auf, das mit der langen Bartmatte und der fast schwarzen Brille
kaum vertrauenerweckender aussah.
"Oh ... Hallo", plauderte Abrax überrascht und verlegen
drauflos. "Wie suchen unseren Freund Califax."
"So ein kleiner", ergänzte Brabax, nicht weniger verlegen.
"Ziemlich hektisch. Habt ihr ihn gesehen?"
Juan und Carlos verstanden kein Wort, denn die beiden hatten nicht spanisch
gesprochen, weil sie ja noch gar nicht wussten, dass sie auf einem spanischen
Schiff gelandet waren, aber es war ihnen auch gleichgültig.
"Blinde Passagiere", sagte Carlos.
"Da wird sich El Capitán aber sehr freuen."
Und die riesigen Hände der beiden Matrosen griffen nach den Abrafaxen.
3 El Capitán
"Majestät, voller Kummer sehe ich Eure besorgte Miene. Und
Ihr habt recht: Der Anschein mag gegen mich sprechen." El Capitán
verbeugte sich devot in Richtung des auf einer Staffelei stehenden Gemäldes.
Denn der spanische König befand sich nicht leibhaftig an Bord der
Galeone, die in der Karibik dahinsegelte. Der Kapitän probte nur,
was er ihm sagen würde, wenn er ihm leibhaftig gegenüberstehen
würde. Und er konnte nur hoffen, dass dessen Miene dann nur halb
so finster drohen würde wie auf dem Bild. "Ja, es ist wahr",
versuchte er den Blick des Monarchen durch Beredsamkeit aufzuhellen,
"ich, Archimbaldo Don de la Cruz, stehe mit leeren Händen
vor Euch." Ach, das war nur zu wahr, und dafür gab es kein
Pardon, das wusste er, und doch versuchte er, das Beste daraus zu machen
und die Wogen des zu erwartenden Zornes mit einem Wortschwall aus seinem
dünnlippigen, breiten Mund zu glätten. "Aber täuscht
Euch nicht!" sagte er entschlossen. "Ich bringe Euch kein
billiges Blattgold aus einer albernen Piratentruhe. Und auch keine Juwelen
aus dem Palaste des Sultans. All das ist wertloser Tand verglichen mit
den Schätzen, die ich Euch zu Füßen lege. 'Wo sind diese
Schätze?' höre ich Euch fragen." Don Archimbaldo tippte
mit einer weitausholenden Geste seines dünnen Armes auf seinen
großen Kopf. "Hier drin, Eure Majestät! Es ist das Gold
der Weisheit und der Erfahrung, welches ich im Schweiße meines
Angesichts ..." Er unterbrach sich. "Wie bin ich, Prado? Glaubst
du, das wird ihn überzeugen?"
"Mit Verlaub, Exzellenz - nö", erwiderte Prado.
Prado war ein grüngelber Papagei von herausragender Intelligenz.
Es gab böse Zungen, die behaupteten, er sei der intellektuelle
Kopf und sein Meister Don Archimbaldo kaum mehr als ein Trottel. An
Bord wagte niemand, das auszusprechen, und die meisten wagten es nicht
einmal zu denken. Denn Archimbaldo Don de la Cruz war nicht ein einfacher
Kapitän, sondern einer der Admiräle der spanischen Flotte.
Wie er zu dieser Ehre gekommen war, schien fast unergründlich,
denn etwas Besonderes war ihm in seinem bisherigen Leben noch nicht
geglückt - abgesehen davon, dass es eine Leistung war, Admiral
zu werden. Auch dann noch, wenn man wusste, dass verwandtschaftliche
Beziehungen eine größere Rolle gespielt hatten als die Taten.
Don Archimbaldo war ein mittelgroßer Mann mit spindeldürren
Armen und Beinen. Dass die Extremitäten so dünn waren, fiel
besonders deshalb auf, weil sein Leib wesentlich fetter war, was noch
durch die ausladende Kleidung betont wurde. Der Capitán trug
nicht etwa die reguläre Uniform eines Admirals, sondern ein - allerdings
dadurch inspiriertes - Phantasiekostüm aus weinroter Seide, das
sich über seinem Wanst pluderte. Um den Hals stand wie ein Wagenrad
ein weißer, plüschiger Tudorkragen ab. Die dürren Füßchen
steckten in ledernen Schnallenschuhen, die mindestens drei Nummern zu
groß waren und wie Entenschnäbel aussahen. Dadurch korrespondierten
sie mit seiner gigantischen Hakennase, die fast noch weiter aus dem
Gesicht ragte, als die Schnäbel an seinen Füßen abstanden.
Prado hatte nur ausgesprochen, was Don Archimbaldo im Innersten längst
klar gewesen war. Dennoch klappte er theatralisch zusammen und sagte
mit Leidensbittermiene: "Warum?? Warum musste der König ausgerechnet
mich auswählen, das Gold von Eldorado zu finden?"
Prado flatterte vom Kartentisch, auf dem er gesessen hatte, hinüber
zu seinem Meister und setzte sich auf den verzierten Rahmen des Königsbildes.
"Hat er nicht, Exzellenz", widersprach er ernsthaft. "Ihr
habt Euch freiwillig gemeldet."
Das entsprach den Tatsachen, und da sie Archimbaldo nicht gefielen,
ging er nicht darauf ein. "Ach", seufzte er, "hätte
ich doch nur ein winziges Klümpchen Gold, das ich seiner Majestät
zu Füßen legen könnte!" Und sehnsüchtig blickte
er hinaus auf das Meer und die dahintreibenden weißen Wolken.
Die Kapitänskajüte war der hellste Raum auf dem ganzen Schiff.
Er war in der ganzen hinteren Hälfte verglast. Die großen
Fenster gaben den Blick auf das Kielwasser frei, das hinter der Galeone
zurück blieb. Draußen war ein herrlicher Tag, die Sonne schien,
der Himmel war so blau wie das Meer, und nur Don Archimbaldo fühlte
sich in den luxuriösen Käfig seiner Kabine eingesperrt und
ganz allein mit dem Elend seiner Erfolglosigkeit. Er rang die dürren
langen Finger.
Plötzlich klopfte es, die Tür wurde aufgerissen, und darin
standen Juan und Carlos. Ohne gefragt zu sein, machte Carlos Meldung:
"Capitán, wir haben zwei blinde Passagiere entdeckt."
Don de la Cruz winkte ab. Was scherte ihn das, wo er gerade dabei war,
die Gunst seines Königs zu verlieren. "Werft sie über
Bord. Ich bin zu deprimiert, um mich mit ihnen zu befassen."
Juan und Carlos sahen sich einen Augenblick betreten an. Eine recht
drakonische Strafe dafür, ohne Erlaubnis auf einem Schiff mitgefahren
zu sein. Und außerdem enttäuschend. Der Kapitän hätte
ruhig etwas begeisterter sein können.
"Übrigens, Capitán", sagt Juan, um noch das Bestmögliche
für sich herauszuholen, "sie hatten diese goldene Schale dabei.
Dürfen wir sie als Belohnung behalten?"
"Jajaja! Nehmt sie mit." Plötzlich drang ein Wort in
sein Bewusstsein, mit dem er sich schon die ganze Zeit beschäftigt
hatte - Gold. "Was? Eine goldene Schale? Zeigt her! Zeigt sie mir!"
Er eilte auf die beiden Matrosen zu und riss sie Juan aus den Händen.
"Sieht aus wie Gold." Er betastete sie, führte sie zum
Mund, biss hinein. "Schmeckt wie Gold." Er hielt die Schale
hoch wie eine Monstranz. "Das ist Gold. Ich bin gerettet, Prado!
Meine Gebete wurden erhört!"
Prado beachtete ihn gar nicht. Er war nach einem Blick auf die Schale
zum Kartentisch geflattert und wühlte mit seinen Flügeln in
den Papieren.
Archimbaldo Don de la Cruz wandte sich mit der Schale dem Bildnis seines
Königs zu, verbeugte sich und sagte beglückt: "Euer Majestät!
Erlaubt mir, Euch dies edle Präsent zu Füßen zu legen!"
Prado, eine kleine Papierrolle in den Flügeln, die er studierte,
räusperte sich und sagte: "Wenn ich etwas bemerken darf, Exzellenz
..."
"Unterbrich mich nicht, Prado! Siehst du nicht, dass ich mit dem
König spreche?"
Prado überhörte den dümmlichen Einwurf und flatterte
hinüber zum Kapitän. Direkt vor seinen Augen schwebte er flügelschlagend
in der Luft und sagte - nicht ohne Erregung, denn seine Entdeckung nahm
ihm selbst den Atem: "Exzellenz, ich glaube ... Ich bin nicht sicher
... Aber was Ihr da in den Händen haltet, ist möglicherweise
der Schlüssel zu Eldorado."
"Was sagst du da?"
"Passt genau auf!" Prado zog unter seinem rechten Flügel
das kleine zusammengerollte Pergament hervor, rollte es auf und deutete
beim Sprechen mit dem rechten Flügel darauf - Punkt für Punkt.
"Goldene Schale", so stand es im Dokument, "goldene Schale",
er deutete auf Don Archimbaldos Trophäe. "Inschrift hier und
Inschrift da." So stand es geschrieben, und so war es zu sehen.
"Das könnte die Spur sein, die uns zu dem Schatz führt."
"Prado! Du bist ein Genie! Ich werde", Der Kapitän wandte
sich vom Bildnis ab, denn das brauchte sein Herrscher nun wirklich nicht
zu hören, ja, er streckte ihm sogar den Hintern heraus, nur um
seine Worte vor dem König zu verbergen, "ich werde reicher
sein als der König! Ich werde Herrscher sein über", ja,
über was eigentlich, über Spanien oder die neuen Kolonien?
Viel zu wenig. Über die Erde? Immer noch zu wenig. "Über
das ganze Universum", fiel ihm ein, und er lachte beglückt.
"Ja, ja, sehr schön", sagte, nüchtern wie stets,
sein Papagei Prado, "aber eins nach dem anderen, nicht wahr? Zuerst
solltet Ihr Euch mit den blinden Passagieren unterhalten."
"Ja, ja, gut mitgedacht", lobte der Don. "Äh, und
worüber unterhalten?"
"Darüber, wo sie sie gefunden haben!" bemerkte Prado,
ein wenig ungeduldig ob der Begriffsstutzigkeit seines Meisters.
"Natürlich!" sagte Archimbaldo, als sei es ihm allein
eingefallen. Seine Augen verengten sich. "Wir werden die Wahrheit
schon aus ihnen herausquetschen!" Schadenfroh und hämisch
kicherten sie beide, Don Archimbaldo de la Cruz und sein Papagei.
In einem düsteren, fast völlig leeren Lagerraum im Bug des
Schiffes saßen Abrax und Brabax und warteten darauf, was mit ihnen
geschehen würde. Immerhin hatten sie sich das hellste Fleckchen
ausgesucht, den Platz genau unter dem Deckengatter. Sehr viel Licht
gab es dort allerdings auch nicht, weil über ihnen noch das Kanonendeck
lag, aber besser war es, im Halbdämmer zu sitzen als in völliger
Finsternis. Abrax saß auf einer der Spanten, während Brabax
aufstand, weil er so besser denken konnte.
"Das ist ein spanisches Schiff" sagte er. "Und es scheint
nicht heute dahinzusegeln, sondern vor ein paar hundert Jahren."
"Die Seeleute sind jedenfalls echt", bestätigte Abrax.
Er hatte, wie Brabax, genau verstanden, was sie gesagt hatten. Schließlich
waren sie zu dritt schon sehr weit herumgekommen und hatten dabei viele
Sprachen gelernt, auch die spanische. Zwar sahen sie aus wie Kinder,
doch waren sie keine. Erwachsene waren sie allerdings auch nicht. Sie
waren die Abrafaxe.
"Diese Schale muss eine Zeitmaschine sein, Abrax", sagte Brabax.
"Wir müssen sie uns zurückholen und herausfinden, wie
sie funktioniert."
"Wie es aussieht, sitzen wir erst mal hier fest", antwortete
Abrax resigniert und stützte den Kopf auf seine linke Hand. "Und
wo zum Kuckuck steckt Califax?"
Für eine Erwiderung - falls denn Brabax überhaupt eine parat
hatte - war keine Zeit, denn die Tür wurde aufgerissen. Der dicke
Carlos stand darin, trat einen Schritt vor und stellte mit fast höfischer
Etikette vor: "Die blinden Passagiere - Exzellenz!"
Er ging einen Schritt beiseite, und Don Archimbaldo trat durch die Tür,
umflattert von seinem unvermeidlichen Papagei.
El Capitán presste die Schale an sich und sagte mit falscher
Freundlichkeit: "Meine goldigen Jungs! Was für ein reizendes
Geschenk habt ihr mir da mitgebracht!"
Prado flog auf die geöffnete Tür und setzte sich darauf. Er
beobachtete die Szene.
"Das ist kein Geschenk", verwahrte sich Brabax. "Die
gehört uns."
"Ja, ja, die Details klären wir später. Sagt mir einfach,
wo ihr sie gefunden habt."
Die Abrafaxe fielen nicht auf seinen schleimigen Tonfall herein. "Sag
nichts, Brabax!" warnte Abrax.
Don Archimbaldos Gesicht verfinsterte sich für einen Augenblick,
doch dann grinste er und schnippte mit den Fingern der rechten Hand.
Durch die Tür herein kam Juan und lächelte sehr finster. Unter
dem rechten Arm trug er eine kleine Kanone, die so schwer war, dass
er sie mit beiden Händen kaum ausbalanciert bekam. Natürlich
war sie nicht geladen, denn die Kugel wäre bei den schlingernden
Bewegungen des Schiffes und bei den noch schlingernderen Bewegungen
Juans herausgerollt, ohne Schaden anzurichten, doch das sah man der
Waffe nicht an. Sie wirkte sehr bedrohlich, und die Abrafaxe bekamen
einen gehörigen Schreck. Es war wie in einem Alptraum, aus dem
es kein Erwachen gibt.
"Äh ... im Museum", gab Brabax zu.
"In welchem Museum?" fragte Don Archimbaldo.
"Te-te-telemannstraße", stotterte Brabax und starrte
in das bedrohliche Loch der Kanone, die Juan genau auf ihn richtete.
"Aha", sagte der Capitán, als handle es sich um eine
verständliche Ortsangabe. "Te-te-telemannstraße!"
"Kennt Ihr die?" fragte Abrax erstaunt.
"Ha!" blies sich der Capitán auf, "ich bin Archimbaldo
Don de la Cruz! Meines Zeichens Flottenadmiral und weltberühmter
Entdecker! Selbstverständlich kenne ich die Te-te-telemannstraße!"
Er wandte sich um und blaffte die beiden Matrosen an. "Steht nicht
da wie die Ölgötzen! Segel setzen und Kurs auf die Te-te-telemannstraße!"
Juan mit seiner schweren Kanone und Carlos mit seinem kaum weniger leichten
Bauch machten kehrt und marschierten davon. Prado flatterte auf und
zu seinem Meister.
"Fort mit ihnen, wir brauchen sie jetzt nicht mehr", sagte
der Don hinter vorgehaltener Hand zu seinem Papagei und lächelte
sehr böse. "Gute Reise, meine lieben Kinderchen!" sagte
er im Hinausgehen schleimig.
Und an Deck schrie ein Matrose, vielleicht war es Juan, vielleicht auch
Carlos: "Auf nach Te-te-telemannstraße!"
"Jawohl", bestätigte der Steuermann, doch änderte
er den Kurs nicht, denn er hatte keine Ahnung, wo das lag.
Die Abrafaxe hatten zwar nicht verstanden, was der lächerliche
Admiral seinem Papagei zugeraunt hatte, doch war ihnen klar, dass nichts
Gutes auf sie wartete. Wie schlimm es werden würde, das ahnten
sie freilich nicht.
Die Tür wurde zugeworfen und von außen verschlossen. Die
beiden Gefangenen starrten sich an.
"Sieht so aus, als würden wir die Schale nicht zurückbekommen",
sagte Abrax.
"Wir müssen uns etwas einfallen lassen, sonst werden wir für
immer in dieser Zeit stecken bleiben", meinte Brabax.
"Ohne Califax können wir sowieso nicht weg."
"Wie sollen wir ihn finden, wenn wir hier eingesperrt sind?"
"Hoffentlich ist es ihm besser ergangen als uns."
Ihr Gedankenaustausch wurde unterbrochen. Die Tür wurde aufgerissen.
Herein trat eine Gruppe von Soldaten. Derb packten sie die Abrafaxe,
zerrten sie zur Tür.
"He, was soll das!" protestierte Abrax.
"Wohin bringt ihr uns?" fragte Brabax.
Er hatte gar nicht damit gerechnet, aber einer der Soldaten antwortete
ihm. "Ihr werdet über Bord geworfen", sagte er mit hässlichem
Grinsen.
"Und dann?" fragte Brabax, der es sich gar nicht ausmalen
mochte.
"Dann kommen die Haie. Wenn ihr Glück habt, kommen sie schnell."
"Das könnt ihr doch nicht machen!" protestierte Brabax.
"Ihr werdet gleich sehen, was wir können. Mit blinden Passagieren
wird bei uns kurzer Prozess gemacht."
"Wir brauchen dringend einen Einfall", raunte Abrax seinem
Freund zu. Der nickte, doch als sie das Schiffsdeck betraten, war er
ihm noch nicht gekommen. Die Sonne schien, der Himmel war blau, und
die Abrafaxe sollten über eine Planke ins Meer geworfen werden.
Es gab keinen Ausweg.
Das
Buch zum Film sowie die Comics mit den Abrafaxen und vieles andere
sind über den Mosaik-Shop
zu beziehen.
Das Mosaik lese ich seit dem 1. Heft im Jahre 1955 und bin heute
noch Abonnent.
|
|
|