Der Einfall ist so simpel und bestechend, daß es erstaunt, daß
ihn vor Dashiell Hammett im Jahre 1929 noch niemand hatte. Eine Kleinstadt wird
von rivalisierenden Gangstern beherrscht und terrorisiert. Ein Mann von draußen,
ein Privatdetektiv (der Continental Op ohne Namen), spielt mit Methoden jenseits
von Recht und Gesetz alle Seiten gegeneinander aus, bis sie sich gegenseitig
ausrotten. Red Harvest (Rote Ernte)
heißt das Buch, und es schrieb Filmgeschichte, obwohl es niemals verfilmt
wurde. Den ersten Film (und meines Wissens einzigen, der vorgibt, auf dem Buch
zu basieren) habe ich nicht gesehen. "Roadhouse Nights" (1930) sei
eine Art musikalische Komödie mit der Bluessängerin Helen Morgan und
dem Vaudeville-Komiker Jimmy Durante in Hauptrollen, erfährt man im Web;
die im Hintergrund ablaufende Krimihandlung scheint mit dem blutigsten und konsequentesten
aller Hammett-Romane mit Sicherheit weniger zu tun zu haben als die drei folgenden
Nicht-Verfilmungen.
Die erste stammt von Akira Kurosawa, der ein Jahrzehnt vorher durch den Erfolg
seines Films "Rashomon" den westlichen Markt für japanische Filme
geöffnet hatte. 1961 drehte er Yojimbo
(Der Leibwächter) mit Toshiro Mifune in der Titelrolle. Es ist unwahrscheinlich,
daß Kurosawa Hammetts "Red Harvest" gelesen hatte, und falls
er "Roadhouse Nights gesehen haben sollte, konnte er nicht mal ahnen, worum
es in der Vorlage ging. Gesehen hatte er allerdings (sagte er selber) eine andere
Hammett-Verfilmung, die nahe am Original geblieben war: "The Glass Key"
(Der gläserne Schlüssel, 1942) nach dem gleichnamigen Roman von 1931.
Eine Szene daraus übernahm er bis in die Einstellungen: Der Held wird von
Kriminellen gefangen und überaus brutal zusammengeschlagen, verweigert
aber jede Zusammenarbeit und kann, schwer verletzt, schließlich entkommen.
Ob jemand Kurosawa von der Roten Ernte erzählte oder ihm der Einfall 30
Jahre später von allein kam, sei dahingestellt. Fakt ist, daß er
in "Yojimbo" denselben Grundeinfall nutzt wie Hammett. Ein Ronin,
ein ungebundener Samurai, kommt in ein gottverlassenes Kaff, in dem sich zwei
Gangsterbanden (nur noch zwei, bei Hammett waren es noch vier Parteien) bekriegen.
Da er im Unterschied zu den Kleinstadtganoven ein bestens ausgebildeter Kämpfer
ist, ist er allen waffentechnisch überlegen, was er eingangs bei einem
Kampf beweist. Von da an verhält er sich abwartend, läßt sich
von beiden Seiten engagieren und spielt sie gegeneinander aus. Zwischendurch
rettet er eine Frau, die zwangsweise mit einem der Banditenchefs lebt. Alles
geht - bis auf den Rückschlag mit Gefangennahme und Folter - auch gut,
die Banditen dezimieren sich gegenseitig, mit den letzten rechnet er selber
ab, um seinen einzigen Freund im Ort zu befreien. Für japanische Verhältnisse
ist das fast schon eine Komödie, was sich in der Darstellung sowohl der
Gangster als auch der (wenigen) anständigen Bewohner des Ortes niederschlägt:
Man kann sie durch die Bank nicht wirklich ernstnehmen. Sie sind so albern,
daß der an sich großartige Film dadurch seine unnötigen Längen
bekommt. Ein Klassiker ist "Yojimbo" trotzdem, wegen seiner Konsequenz
und seiner Folgen.
Sergio Leone, damals ein Regieanfänger, der einige Sandalenfilme gedreht
hatte, sah den Leibwächter und war (nicht nur) vom Grundeinfall angetan.
Mühelos übertrug er die Handlung in den Wilden Westen nahe der mexikanischen
Grenze. Mit Per un
pugno di dollari (A Fistfull of Dollars, Für eine
Handvoll Dollar, 1964) machte er den damals noch unbekannten Clint
Eastwood (den er für 15.000 Dollar engagierte, für eine Handvoll Dollar
also) zum Star. Ein Fremder ohne Namen kommt in ein Kaff, in dem zwei Banden
sich gegenüberstehen und die einfachen Leute terrorisieren. Der Fremde
kann besser schießen als die Kleinstadtganoven, was er eingangs bei einem
Duell beweist. Daraufhin läßt er sich nacheinander von beiden Banden
engagieren und spielt sie gegeneinander aus. Zwischendurch rettet er eine Frau,
die zwangsweise mit einem der Banditen lebt. Alles geht - bis auf einen Rückschlag
mit Gefangennahme und Folter - auch gut, die Banditen dezimieren sich gegenseitig,
mit den letzten rechnet er selber ab, um seinen einzigen Freund im Ort zu befreien.
Und weil Leone (der sich, um auf dem amerikanischen Markt eine Chance zu bekommen,
für diesen Film übrigens Bob Robertson nannte) Kurosawas Fehler, die
Gegner zu karikieren, vermied, gelang ihm aus dem Stand ein Klassiker. Der amerikanische
Markt öffnete sich für Spaghetti-Western (wie man die Italo-Western
in den USA nennt), Leone (diesmal unter seinem echten Namen) drehte selber noch
einige, die Filmgeschichte schrieben, und die tatsächlichen Erben des Wilden
Westens brauchten Jahrzehnte, bis es ihnen endlich mal wieder gelang, ein paar
Western zu drehen, deren Qualitäten mit denen von Leones Filmen zu vergleichen
waren.
Einer davon ist Walter Hills Last Man Standing
(1996). Es ist anzunehmen, daß Hill Hammetts Roman gelesen hat.
Trotzdem stützte er sich auf das japanische Drehbuch, das Hammetts komplexe
Geschichte filmgerecht vereinfacht. Immerhin spielt der Film in derselben Zeit
wie Hammetts Roman, allerdings in der von Leone gefundenen Gegend. Ein Revolverheld
ohne Vergangenheit und Zukunft (Bruce Willis, dessen Lohn übrigens den
von Eastwood um mehr als das 1000fache überstieg) kommt in die von Gott
und den meisten Einwohnern verlassene Kleinstadt Jericho nahe der mexikanischen
Grenze, in der sich, wen wundert es, zwei Banden bekriegen, Schnapsschmuggler,
in den USA herrschte die Prohibition, was bekanntlich nicht die Abstinenzler,
sondern die Gangster aufblühen ließ. Dummerweise demolieren ein paar
Gangster das Auto des Namenlosen, er beweist seine Schießkünste,
wird von beiden Seiten umworben und engagiert, spielt sie gegeneinander aus
und befreit zwischendurch eine Frau, die gezwungen ist, mit einem der Gangster
zusammenzuleben (und eine Hure, und die Geliebte des anderen Gangsterchefs).
Er verdient mehr als eine Handvoll Dollar an den Banditen und verschenkt alles
nacheinander an die drei Frauen, denen er aus der Stadt hilft. Er behauptet
von sich selber, er habe kein Gewissen, beweist aber durch sein Handeln das
Gegenteil. Alles geht - bis auf einen Rückschlag mit Gefangennahme und
Folter - auch gut, die Banditen dezimieren sich gegenseitig, mit den letzten
rechnet er selber ab, um seinen einzigen Freund im Ort zu befreien. Auf den
großen Showdown folgt dann noch ein kleiner, bei dem ihm nur drei Gegner
gegenüberstehen, von denen einer gar aus dem Hinterhalt von seinem Kumpel
und der andere nebenbei erledigt wird. Der dritte wiederum ist eine Figur, die
sich auch durch alle drei Filme zieht: Einer der Gangster ist dem Helden (fast)
gleichwertig. Im japanischen Film durch den Besitz einer Pistole in der Schwerterzeit,
im italienischen durch eine Maschinenpistole, im amerikanischen durch skrupellose
Schußfertigkeit (die man ihm gern glaubt, denn er wird von Christopher
Walken verkörpert). Am Ende zieht, auch wie in allen drei Filmen, der Namenlose
weiter, ohne etwas gewonnen zu haben (hier immerhin: arg ramponiert). Hills
Film ist der stilisierteste von allen. Getaucht in verblichene Farben (Sepia!),
düster, hoffnungslos. Die Schießereien sind in bester Westernmanier
choreographiert, sechsschüssige Pistolen müssen nach 20 Schüssen
nachgeladen werden, und wer getroffen wird, fliegt mindestens zwei Meter rückwärts
durch die Luft. Das ist Kino, das sich selbst als Kino begriffen hat, eine Feier
des Westerngenres und zugleich ein Abgesang darauf. Mag sein, daß gerade
die große Kunstfertigkeit des Regisseurs die Fans von Action verprellte
und die perfekte Action die Cineasten die filmische Qualität übersehen
ließ - "Last Man Standing" ist der einzige Nicht-Klassiker in
dieser Reihe; er spielte sein Geld an den Kassen nicht ein und wurde dem Vernehmen
nach erst auf DVD zum Geheimtip (immerhin).
In den Siebzigern wollte Bernardo Bertolucci Hammetts "Red Harvest"
verfilmen und sprach nacheinander mit Robert Redford, Jack Nicholson, Clint
Eastwood und schließlich Warren Beatty, die er für die Rolle des
Continental Op gewinnen wollte. 1982 sollte der Film gedreht werden, Bertolucci
reiste nach Hollywood, wo das Projekt aus Gründen, die nicht bekannt sind,
abgebrochen wurde. Der Roman zählt laut Time zu den 100 besten englischsprachigen
Romanen, die zwischen 1923 und 2005 veröffentlich wurden (wohlgemerkt:
Romanen, nicht Kriminalromanen). Die tatsächliche Verfilmung steht noch
aus, aber immerhin hat er schon drei auf ihre Art großartige Filme angeregt
(und genau betrachtet ist selbst "Millers Crossing" von den Brüdern
Coen ohne Hammett undenkbar). Mehr kann sich ein Autor kaum wünschen. Und
der Zuschauer auch nicht.
H.M.