Er kommt aus dem Untergrund und verläßt ihn nicht, obwohl er ihm längst entwachsen ist. Er kommt vom Trash-Film und verschiebt ihn nach und nach in neorealistische Bahnen. Seine Filme sind düster und depressiv und im besten Fall gleichzeitig grotesk und komisch. Der Österreicher Carl Andersen, der seit fast 20 Jahren in Berlin lebt, ist kein Low-Budget-Regisseur, sondern ein No-Budget-Regisseur, und er hat es geschafft, ohne Geld Filme zu drehen, die nicht schlechter sind als etliche der mit Millionen überschüttete Großproduktionen dieses Landes und anderer Weltgegenden. Unverdientermaßen kennen ihn nur wenige jenseits von Festivals; für Vertrieb und Werbung fehlt gleichermaßen Geld. Auch ich habe ihn nur durch den Zufall kennengelernt, daß seine Filme in meiner Stammvideothek vertrieben wurden, in der er selbst gelegentlich hinterm Tresen stand. Nachdem ich einen seiner Filme gesehen hatte, wollte ich mehr sehen.
Gestartet ist er, noch in Österreich, mit Vampyros Sexos - I was a Teenage Zabbadoing. Ein Film, dessen anarchischem Übermut man die damaligen filmischen Vorlieben ansieht, während sich die späteren bestenfalls ahnen lassen. Vampyros Sexos ist ein Rundumzitat von Slapstick-, Vampir-, Horror-, Teenie- und Sexfilm mit abstrus nebensächlicher Handlung, gedreht mit Laien, ohne Originaltöne, mit der dröhnenden Musik von Modell D'oo. Ein Öl verwandelt Jugendliche in Vampire. Der Teenie-Vampirismus besteht wesentlich aus Sex- und Mordsucht. Das Kreuz ist machtlos gegen die Vampire, aber vor einem Tarkowski-Video weichen sie kotzend zurück; sieht allerdings das Vampirmädchen gar zu knackig aus, werfen die Vampirbanner schnell das Video weg, stürzen sich lüstern ins Fleischgetümmel und den eigenen Untergang. Ein Spaß mit gut aufgelegten Laien.
Mondo Weirdo - Jungfrau am Abgrund visualisiert die erotischen Alpträume eines Mädchens, das nach einem schlimmen Erlebnis hinter jeder Tür Sex und Gewalt sieht. Fast unbewegten Gesichts geht Jessica F. Manera durch ihre nach außen gestülpte groteske Innenwelt. Rasiermesser schneiden durch Oberkörper, Kehlen, Schwänze. Das ist Horror und Pornographie pur und in seiner Übersteigerung der Schrecken fast auch schon wieder komisch in aller Düsternis der körnigen Schwarzweißbilder. Es ist eine übermütig-depressive Heiterkeit, eine schrill-anarchische Orgie aus Rockmusik, Sex- und Gewaltphantasien. Ein Meilenstein des Underground-Films.
Killing Mom ist der ambivalente Versuch, einen Film a la Lindenstraße mit Laien zu drehen (nicht auszuschließen, daß "Gute Zeiten - Schlechte Zeiten" eben dieses Laien-Spiel-Konzept - in familientauglicher Verharmlosung - nachahmte). Ein Mädchen bricht aus dem spießigen Zuhause aus, in dem die nervenkranke Mutter sie und den nachgiebigen Vater mit Moralvorstellungen aus der Mottenkiste terrorisiert. Das Mädchen tummelt sich in WGs mit Lesben und Heteros. Ein Happy-End scheint unausweichlich, aber da ist ja noch die titelgebende Mutter ... Der Eindruck bleibt zwiespältig. Es ist nicht jedem Laien gegeben, zu schauspielern, und so merkt man denn im Vergleich sehr deutlich, wer die echten Schauspieler sind - vor allem das Elternpaar (Dorothea Moritz und der Regisseur Lothar Lambert); an die Tochter, immerhin, gewöhnt man sich. Während die Nebenrollen durch falsches Pathos und laienhafte Deklamation das Vergnügen trüben.
Andersens erster Farbfilm Mondo Weirdo II (Vom Luxus der Liebe) zieht einen deutlichen Schlußstrich unter die erste Phase. Der Film gibt sich als Dokumentation einer scheiternden Filmproduktion. Die Regisseurin (voller intensiver Depressivität: Jessica Manera) will ihre Frustrationen als Jungfrau am Abgrund aufarbeiten. Doch ist ihr die Hauptdarstellerin entlaufen, und da sie mit sich und ihrer Sexualität nicht klarkommt, findet sie trotz zahlreicher Gespräche mit Darstellern kaum die Kraft, den Film zu beenden. Schwer erleidet sie Alltag und Filmproduktion, und es stellt sich ein Gefühl von Vergeblichkeit ein, bei ihr wie beim Zuschauer. Auch die Boheme des Off-Films ist nicht das reine Vergnügen, und ein guter Film bleibt Luxus wie die Liebe.
Daß ein Film, der zu mehr als drei Vierteln aus Großaufnahmen besteht und dessen Protagonisten oft schwer um Worte ringen, mich unterhalten kann, hatte ich zuvor nicht gedacht. Die Sehnsucht nach dem Mehr ist die weitgehend dokumentarische Beschreibung des Experiments dreier Personen, miteinander zu wohnen. Zwei hatten früher eine Beziehung, die längst vorbei ist; der dritte, Andersen selber, fast doppelt so alt wie die Jugendlichen, entwickelt während der Aufnahmen eine Beziehung zu dem Mädchen, der Junge bricht das Experiment ab, die Übriggebliebenen machen weiter, getrieben von der Sehnsucht nach dem Mehr. Zu sehen ist weniger das Experiment selber als die Äußerungen der Protagonisten darüber. Scharfe, klare, brillant ausgeleuchtete Schwarzweißbilder und die zögernden Statements schaffen eine beklemmende Atmosphäre, die mich bis zum letzten Bild und noch danach nicht los ließ. Trotz der Ruhe, ja, Statik der Bilder und des kleinen Vorganges bekommt man mehr Leben zu sehen, als in einer Stunde üblich ist. Der ernsteste und bis dahin bewegendste Film von Carl Andersen.
Wenn man schon Andersen heißt (oder sich so nennt), dann muß man irgendwann auch Märchen erzählen: Andersens Märchen von der Liebe. Davon träumt er, daran würde er gern glauben. Liebe ist das menschlichste aller Gefühle, himmlisch schön und ergreifend, sagen die Dichter. Liebe ist irreal, stellt dagegen Andersen fest, nachdem er sich in der Wirklichkeit von Zweierbeziehungen umgesehen hat. Liebe ist nur ein Wort, ein erstrebenswerter Zustand, den zu erreichen unmöglich scheint, ein Märchen wie der Traum vom Paradies, nichts wird daraus, einer hat zu viel, ein anderer zu wenig davon, nie ist es gleich, eine dominiert durch Egoismus, die andere durch Unterordnung, einer ist zu weich, der andere zu hart, man kreist um das Bett, weil Sex leichter zu bekommen ist als Liebe. Eine so ernüchternde wie frustrierende Bestandsaufnahme des poetischsten aller Gefühle, das tausendfach verklärt wurde, obwohl es sich - falls überhaupt jemals - zu selten einstellt. Wir wußten schon immer, daß wir nicht perfekt sind, aber wußten wir auch, daß wir so unperfekt sind? Daß die Wirklichkeit grotesk fern vom Ideal liegt? Daß Menschen guten Willens so aneinander vorbeireden, vorbeileben, vorbeilieben können? Der Film balanciert mittels Groß- und Übergroßaufnahmen auf dem Grat zwischen Nähe und Distanz, schafft eine Intimität, die jede Hautunreinheit erkennen läßt und doch die stockend Plaudernden niemals denunziert: Geständnisse fern polizeilicher Protokolle, richtende Instanz sind diejenigen, die von sich reden bis hin zur Gnadenlosigkeit der Selbsterkenntnis. Das Urteil heißt lebenslängliche Frustration. Verurteilt zum Lieben-Wollen. Dazu immer wieder ein Pärchen beim Geschlechtsakt, der ohne jede Emotion verrichtet wird. Das ist auf frustrierende Weise lächerlich, ja, komisch bis hin zum Slapstick, gerade weil die Darsteller nicht versuchen, Liebe oder auch nur Leidenschaft zu spielen, zu heucheln. Liebe ist absurder als ein Märchen. Das hat Andersen nicht erfunden: Er erzählt, er protokolliert es nur. Und das kann unter die Haut gehen. Vielleicht sogar unter die eigene.
... lick an apple like a pussy ist The Movie Stanislawski never made. Der Film kreist um Andersens zentrale Themen - um das Filmemachen, das Scheitern und um die Sexualität. Ein Filmteam trifft sich für Probeaufnahmen in einem abgelegenen Bungalow im Wald. Marga, die Regisseurin (gespielt von der echten Regisseurin Malga Kubiak), hat für ihre cineastische Leidenschaft bereits alles verloren - Geld, Haus, Mann, Kind. Totales Engagement erwartet sich auch von ihren Darstellern. Und die würden es geben, wäre da nicht die Schamgrenze. Der Film soll einige Szenen mit echtem Sex enthalten. Kein Problem, sich nackt auszuziehen und Sex zu spielen, aber ihn vor der Kamera zu haben, nein, das dann doch nicht. Selbst Alkohol beseitigt nicht alle Hemmungen, und Marga will nicht therapieren, sondern filmen, ohne zu begreifen, daß das manchmal dasselbe ist. Die Fäden entgleiten ihr. So werden die Probeaufnahmen zum Fiasko für alle Beteiligten. Die möglicherweise vorhandenen Emotionen von Regisseurin und Hauptdarstellerin füreinander werden auf dem Altar der Filmproduktion geschlachtet, und Marga mutiert zur Domina ohne Freier. Bis hin zur Peinlichkeit werden die Grenzen ausgetestet. Muß man tatsächlich seine Maske ablegen, um vor der Kamera Sex zu haben? Geht es überhaupt um Sex vor der Kamera? Hat Sex etwas mit Liebe zu tun? Und ist Liebe wichtiger als Film?. „... lick an apple“ gibt sich als das nüchterne Protokoll der Gespräche und Proben. Die Kunst von Andersens Inszenierung besteht darin, daß man sie nicht bemerkt. Der Regisseur ist so unsichtbar wie sein alter ego Simon, der mit seiner Kamera dabei ist und alles aufnimmt, auch dann, wenn er unerwünscht ist. Das alles könnte sich genau so abgespielt haben. So ist denn die größte Überraschung der Abspann, in dem man lesen kann, daß es Rollen waren, die wir gesehen haben. Der englische Titel ist kein Etikettenschwindel. Die Regisseurin ist Polin; sie spricht nicht deutsch. Wenn die deutschen Darsteller unter sich sind, sprechen sie natürlich ihre Muttersprache, doch das kommt selten vor. So werden alle Ausbrüche, Verunsicherungen und Anfechtungen durch die Sprache verfremdet. Man gerät in Wut, würde die Regisseurin gern beleidigen - und ist gezwungen, dies in einer Sprache zu tun, die man nicht perfekt beherrscht, um überhaupt verstanden zu werden. So gelangt denn auch noch ein komisches Element in dieses artifiziell simple Dokument eines Scheiterns. Wie eigentlich immer bei Carl Andersen.
Mit Eiszeit hat Andersen hat
es wieder einmal geschafft, ohne Geld einen Film zu drehen, der spannender ist
als so manche Mllionen-Produktion. Ein stilles Kammerspiel, in dem sich die
lakonisch beobachteten Emotionen überschlagen bis hin zur Verständlichkeit.
Angesiedelt in einer Szene, die man kennt, wenn man in Prenzlauer Berg oder
Kreuzberg (oder den entsprechenden Vierteln anderer Städte) wohnt und mit
Kunst und Künstlern zu tun hat - oder mit denen, die gern Künstler
wären oder die schon mal jemandem begegnet sind, der auch gern Künstler
wäre. Beleuchtet mit dem Spot gnadenloser Wahrheit, der Alltägliches
als tragisch und die Tragödie als grotesk, also auf finstere Weise auch
komisch erscheinen läßt. Natürlich sind am Ende alle gescheitert,
aber das waren sie ja auch schon am Anfang. Wer immer strebend sich bemüht,
entkommt doch nicht dem Bösen. Die großartige Sybille Kleinschmidt
brilliert in der Haupt- und einer Nebenrolle und spielt dabei zwei so unterschiedliche
Persönlichkeiten, daß ich erst im Abspann mitbekam, daß der
Film eine Darstellerin weniger hatte, als ich beim Zuschauen wähnte. Es
ist ihre Geschichte, die den Film trägt. Der einzige Satz den ich ihr nicht
glaube, ist: „Ich bin lesbisch.“ Sie kann es spielen, insbesondere
die unangenehmen und grotesken Aspekte, doch sie ist es nicht.
Sybille Kleinschmidt spielt die junge Schauspielerin Poklewski, deren Haut gefragter
ist als ihr Spiel. Es mangelt nicht mal an Angeboten (u.a. Buddy Giovinazzi,
Lothar Lambert), doch alle laufen darauf hinaus, daß sie sich vor der
Kamera ausziehen, gar Sex haben soll, und das will sie nicht. Ihre Mutter (herrlich
egomanisch: Malga Kubiak), eine durchgeknallte Performance-Künstlerin,
lebt im Ausland und fällt alljährlich für ein paar Tage in die
Wohnung der Tochter ein, weil sie dort umsonst übernachten kann. Sie gibt
esoterisch wirkende Performances und schleppt alles ab, was sich abschleppen
läßt. Ihre Tochter zieht die Kunst dem Sex vor und wird beim nächsten
Casting von einem Jungfilmer (Thomas Goersch) betäubt und vergewaltigt.
In dieser kaputten Welt wirkt sie normal, obwohl (oder weil) sie nur marginal
hehrer ist als die anderen. Am Anfang hat sie ein Bratkartoffelverhältnis;
sie praktiziert - im komischen Highlight des Films - lustlos Sex mit einer reicheren
Freundin, die dafür ein paar ihrer unbezahlten Rechnungen übernimmt.
Als sie sich aus Ekel vor der Vereinnahmung von ihr trennt, erwägt die
abgehalfterte Geliebte (Sabine Barth - schleimig und depressiv machtbesessen)
Selbstmord. Glück ist nur eine Illusion und Sex nur scheinbar ein Weg zum
Glück. Mein Interesse daran, lesbischen Frauen dabei zuzusehen, daß
sie ihr Liebes- und Arbeitsleben auch nicht besser auf die Reihe bekommen als
heterosexuelle Männer, liegt nahe bei Null. Wenn ich dennoch der Beobachtung
etwas abgewinnen kann, daß alle Frauen lesbisch und alle Männer (und
Frauen) Schweine sind, dann liegt das an der depressiven Komik, mit der die
Realität beobachtet wird. Irgendwann ist es irrelevant, daß „Eiszeit“
eine Lesben-Tragödie ist. Es ist die alltägliche Tragödie von
Menschen in Mitteleuropa um die Jahrtausendwende. Aus dem Untergrund läßt
sich der Bodensatz des Lebens schärfer erkennen. Und wenn man begreift,
daß man selbst nicht besser dran ist, hat man schon gelacht über
die eigene Tragödie. Oder geweint. Ganz nach Veranlagung.
In Female Summer geht es weiter mit Lesbentragödien. Andersen did it again, sperrte vier Frauen zusammen und ließ sie innerhalb des Rahmens einer kurzen Geschichte ihre Rollen finden und behaupten bis zum unvermeidlichen bad end. Wie in den vorangegangenen Filmen untersucht er, wie Menschen miteinander klarkommen - mit ihrer Liebe, ihrer Sexualität, ihren Gedanken und Gefühlen - und wie dies im Film dargestellt werden kann. Allerdings wird im Weibersommer, anders als in den Vorläufern, die filmische Darstellung nicht direkt thematisiert. Die Kamera ist anwesend wie ein gut verborgener Voyeur und meidet die Echtzeit-Illusion. Sie springt von Stimmung zu Stimmung. Eben noch gab es den Frust ob der ungewohnten Naturidylle, in der sich das Städter-Pärchen auf einmal aufhalten muß, weil die eine, Dela, es so wollte, und weil sie ihre etwas grämliche Freundin Regina mitgeschleppt hat, genötigt nachgerade, freiwillig in die Verbannung mitgenommen, in der man (oder eben auch Frau) mangels Ablenkung auf sich selbst geworfen ist, Stunden später oder an einem anderen Tag genießt Regina die Natur und würde am liebsten beten vor Freude, was ihre atheistische Freundin für einen Flitz hält, einen Freudenkiller. Sie wohnen bei Malga, die sie bisher nur über Bekannte kannten. Malga ist Polin. Sie tippt auf einer Schreibmaschine aus dem längst abgelaufenen Jahrtausend Tagebuchnotizen in ihrem reizenden foreign english, in dem sie sich auch mit ihren Gästen und ihrer später aus der Stadt eintreffenden Freundin Zina unterhält... Der Charme von Andersens Filmen besteht in ihrer Unmittelbarkeit. Man ist dabei, wenn etwas passiert, was den Spielfilmen einen dokumentarischen Touch verleiht. Die Texte wirken nicht auswendig gelernt; vermutlich sind sie weitestgehend improvisiert. Dabei holpert es dann freilich doch gelegentlich gewaltig; Autoren und Dramaturgen haben auch beim Film eine Funktion, und ohne sie kann etwas fehlen. Malga Kubiak, die polnische Regisseurin und Performerin, die schon in „Lick an apple like a pussy“ und „Eiszeit“ mitspielte, gibt wieder die Sprache vor, in der man sich verständigt. Sie neigt zum Unterspielen; der Widerspruch zwischen extremem Verhalten und fast schon schläfrigem Agieren ist toll, wenn man sie das erste Mal sieht. In der Wiederholung kann es wie eine Marotte wirken. We could destroy the whole world, sagt Malga vor sich hin. Okay, stimmt Zina zu. - Okay? wiederholt Malga belustigt. What do we do then, girl? Tja, was tun, nachdem man versehentlich die eigene Welt zerstört hat? Und vor allem. Was tun die, die mal nicht mal den Ausweg haben, Filme darüber drehen zu können?
Chien Fuck variiert Andersens Themen auf einer Ebene, die ihn von allen anderen deutlich unterscheidet. Ein Paar will zusammen sein, aber sie harmonieren nicht wirklich miteinander, nicht nur im Bett nicht. Die echten Aussprachen führen sie nicht miteinander, sondern mit Freunden. Dazwischengeschnitten sind Interviews, in denen die Befragten über gescheiterte Beziehungen sprechen. Das mögen Beziehungen zu anderen aus dem Film sein oder zu Leuten, die nicht mitspielen, es ist irrelevant, denn alles könnte auf das zentrale Paar und dessen Freunde zutreffen. Der Film ist durch Fehlfarben - monochrom, ausgeblaßtes Pastell, schwarzweiß klar und verfälscht, nur selten in vollen Tönen -, durch Spiegelungen und Kameraperspektiven ins Artifizielle entrückt; gerade weil (fast) nichts genauso aussieht, wie man es gewohnt ist, wird das Gewohnte kenntlich als etwas, das durch uns gemacht wird: Wir schaffen unsere eigene künstliche Welt, selbst wenn wir wähnen, sie sei ganz natürlich. Hochprofessionell ist das Spiel der Akteure bis in die kleinsten Rollen. Was Erwin Leder aus seinem Kürzest-Interview an Intensität herausholt, könnte Schauspielstudenten als Lehrmaterial dienen. Und Malga Kubiak ist beim Interview-Monolog überwältigend in ihrem verbitterten Overacting. Ja, die Liebe ist mal wieder unmöglich und guter Sex schwer zu bekommen, und Underground-Filmemacher haben es nicht leichter als der Rest der Welt. Das ist durchaus düster und schwer. Und doch hat der Film eine Leichtigkeit, die mitreißt. Das bewirkt Kitty Braun. Unter diesem Band-Namen treten zwei Mädchen auf, die wahrscheinlich singen können, zumeist aber kreischen und schräge Töne von sich geben. Dabei sind sie ansteckend frisch und natürlich und (sorry, wenn es wie ein Macho-Spruch klingt) so süß, daß man sie einfach mögen muß. Man sieht sie bei einem Auftritt in einem kleinen dunklen Raum und später in der Garderobe beim Playback-Nachvollzug ihres Auftritts, und man sieht, daß sie Spaß haben, und der steckt an, jedenfalls mich. Sie sind über ein Drittel des Films zu sehen und zu hören, sie geben keine Interviews, sie singen nur (falls man das so nennen kann), man erfährt nichts weiter über sie, nicht mal, ob sie jenseits der Bühne ein Paar sind, aber im Kontext des Films haben sie eine Beziehung. die einzige, die funktioniert. Es ist der Hauch eines Ideals: Es gibt sie also doch, die Beziehung, in der man Spaß miteinander hat. Da kann ja selbst ich noch hoffen.
Die bisherigen Filme kulminieren in Chien Fuck. Wer so etwas kann, kann alles. Also werde ich auch künftig nachsehen, ob es einen neuen Andersen gibt. Vielleicht schiebt ihm ja irgendwann auch mal jemand ein paar Euro zu. Ob er damit Profit machen könnte, weiß ich nicht. Aber ich bin sicher, daß Andersen keinen Cent davon vergeuden würde.
Nachtrag
Am 3. August 2012 starb Carl Andersen im Alter von 54 Jahren. Geld mit seinen
Filmen zu verdienen ist ihm niemals vergönnt gewesen.