Berlin Programm
or: How I Learned to Stop Worrying and Love my Work

Die bisher längste zusammenhängende Arbeit habe ich beim Berlin Programm erledigt. Ende des vorigen Jahrtausends, noch in der Zeit, als ich das Theater o.N. leitete und dortselbst auch auftrat, begann ich bei der Programmzeitschrift als Korrekturleser, weil das Theater mich nicht nährte und weil ich es konnte. Ich lehne zwar (wie in älteren Einträgen meiner Homepage deutlich zu sehen) die "Neue Rechtschreibung" ab, beherrsche sie aber (soweit man diesen Quatsch beherrschen kann, pflege ich an dieser Stelle hinzuzufügen und unterlasse es auch diesmal nicht). Seit 2001 bin ich freier Redakteur beim Berlin Programm. Frei heißt: Ich bin nicht jeden Tag dort, nur in der Produktionsphase (das sind die 14 bis 16 Tage, bevor das Monatsheft in die Druckerei expediert wird), und am Anfang nicht einmal das; etliches konnte ich zuhause erledigen; nach und nach stellte sich heraus, dass es unaufwendiger ist, das vor Ort zu erledigen, so dass ich nun doch in Produktionsphasen fast täglich zur Krummen Lanke fahre, als sei ich ein fest installierter Redakteur.

Das Berlin Programm ist die älteste kontinuierlich erscheinende Programmzeitschrift der Stadt. "Tip" wurde 1972 gegründet, "Zitty" 1977 (und selbst das Stadtmagazin "Hobo", dessen Mitarbeiter Zitty gründeten, das also indirekt Zittys Vorläufer sein mag, erst 1971). Das Berlin Programm erschien zum ersten Mal in der letzten Aprilwoche des Jahres 1951. Herausgeben wurde es zunächst vom Verkehrsamt Berlin (Westberlin, versteht sich) mit Sitz in der Fasanenstraße 6/7 in Charlottenburg. Zunächst erschien es wöchentlich, bis später ein Monatsprogramm daraus wurde. Auch der Herausgeber wechselte im Lauf der Zeit; seit den 70er Jahren war stets ein Mitglied der Familie Rimbach dabei. Seit 1977 ist Rainer Robert Rimbach der Verleger. Zunächst wurde fast ausschließlich das Westberliner Programm angekündigt, aber auch schon bei noch geschlossener Grenze gab es Programmangaben für Bühnen in Ostberlin, und von Anfang an gab es auch Hinweise auf Besuchsmöglichkeiten im Ostsektor. Ich weiß das, weil ich (neben vielem anderen) für die Rubrik "Damals war's" zuständig bin, in der aus dem Berlin Programm der frühen Jahre zitiert wird (die derzeit erscheinende Nostalgie-Reihe wurde im 60. Jahrgang gestartet). Und ich mache das, weil der Chef und ich die einzigen Mitarbeiter sind, die damals schon lebten - als zunächst sehr kleine Kinder, aber mit wachen Erinnerungen an die in den Fünfzigern angesagten Künstler. Wir haben (vielleicht gar zusammen, aber ohne uns zu kennen) 1957 die IBA (Interbau) besucht, haben vom Sessellift aus das Hansaviertel besichtigt; als meinen Heimatsender empfand ich den RIAS, und ich ging (auch) in Westberlin ins Kino, bis sie eine Mauer zwischen mich und mein Kino bauten.

Die Haltung der jeweiligen Redaktion hat sich in den 65 Jahren ihrer Existenz nicht geändert. Es gibt nur die neutrale oder werbende Ankündigung dessen, was stattfindet. Bei den meisten Ereignissen ist dies auch gar nicht anders möglich. Bekannt ist - zum Beispiel bei Theaterstücken vor der Premiere - nur Titel und Datum, nicht zu vergessen Verkehrsverbindungen zum Ort des Geschehens und Möglichkeiten des Kartenerwerbs; über Inhalte ist nur bekannt, was der Veranstalter oder seine Presseabteilung uns mitteilen, und das ist stets positiv. Bei länger laufenden Events wäre es natürlich möglich, dass ein Redakteur es inzwischen gesehen hat, und es ist von Fall zu Fall nicht ausgeschlossen, dass es ihm oder ihr nicht so behagt wie dem Dramaturgen. Aber der eigene Geschmack findet sich im Heft kaum wieder. Was stattfindet, ist gut, sonst würde es ja nicht stattfinden. Bis zum heutigen Tag ist (anders als bei den anderen Stadtmagazinen, die ihr Kostenverhalten inzwischen leicht geändert haben), die Ankündigung der Termine für den Veranstalter kostenfrei. Was sich im kommenden Monat ereignet, steht - unter Maßgabe des vorhandenen Platzes - auch im Berlin Programm. Die Veranstalter können - wie in allen Programmzeitschriften - Anzeigen aufgeben, die natürlich Geld kosten, aber jeder, der (auch ohne Anzeige) seine Daten schickt, hat die Chance, aufgenommen zu werden. Die Seitenzahl ist naturgemäß begrenzt; nur für den Dezember gibt es eine um 24 Seiten erweiterte Ausgabe, weil die Zahl der Veranstaltungen größer als üblich ist und außerdem noch Jahreszeitliches wie Weihnachtsmärkte und Feiertagsessen aufgenommen wird. Nicht vertreten sind - wiederum im Unterschied zu Zitty und Tip - Kino und Fernsehen (weil die Termine zum Redaktionsschluss - anderthalb Monate vor Beginn des Monats, um dessen Programm es geht - noch unbekannt sind), was wiederum mehr Raum lässt für alles andere, das sich in der Stadt ereignet.

Begrenzt bleibt der Platz dennoch, so dass die Events, auf die durch längere Texte hingewiesen wird, fast ausschließlich Veranstaltungen unserer Anzeigenkunden sind. Es wäre nicht gerecht, ausgerechnet sie zu verreißen und mit der Rute die nährende Hand zu züchtigen. Doch zunächst ist es mir - und das jahrelang - schwer gefallen, meine eigene Meinung (sofern sie von der der Macher abweicht) für mich zu behalten. Früher und anderenorts habe ich selbstverständlich - auch - Verrisse geschrieben; einige davon waren so bissig, dass mir gelegentlich der Atem stockt ob meiner damaligen Dreistigkeit. Ich glaube - wie wohl fast jeder -, dass meine Meinung richtiger ist als die aller anderen Menschen, aber im Unterschied zu früher bin ich nicht mehr überzeugt davon. Was, wenn etwas, das mir missfällt (oder missfallen würde, wenn ich es sehen würde), anderen gefällt - und beim Gefallen gibt es keine Irrtümer, nur Ansichten. Was, wenn deren Meinung auch ihre Berechtigung hat? Oder gar die der Macher; die nämlich wollen gemeinhin das Beste geben.

Mögen andere darüber richten; wir kündigen an. Ich bemühe mich also darum, die Absichten der Macher zu verstehen und ihre Ansicht werbend wiederzugeben (wir müssen deren Texte umschreiben, damit sie den vorgegebenen Raum exakt füllen). Es dauerte seine Zeit, doch inzwischen bin ich manchmal recht zufrieden damit, keine eigene Meinung schreiben zu müssen, sondern die Meinungen und Ansichten derer zu vertreten, die das Produkt (die Veranstaltung) hergestellt haben. Falls das, was wir schreiben, überhaupt einen Effekt hat, dann den, dass die Leser hingehen und sich selbst ein Bild machen. Vielleicht ärgern sie sich hinterher, doch zumindest haben sie die Chance, etwas kennenzulernen, was ihnen entgangen wäre, hätte ich sie mit meinen Vorlieben davon abzuhalten versucht. Das Verfassen und Redigieren von Werbetexten ist der kleinere Teil meiner Arbeit. Der größere ist das Notieren der Veranstaltungen mit Titel, Ort oder Treffpunkt, Datum, Uhrzeit, Verkehrsverbindung und Telefonnummer für weiterführende Informationen oder Karten. Es mag unglaubwürdig klingen, ist aber wahr: Inzwischen macht mir das Spaß. Den Hauptteil meines Lebens verbringe ich derzeit in der Redaktion. Getrübt wird das Vergnügen nur durch den Schutzheiligen, zu dem wir beten: Sankt Umlauf. Der Umlauf der Zeilen (alle sind nach Möglichkeit von gleicher Länge und Buchstabenfülle, und Trennstriche sind verpönt) wird oft wichtiger genommen als der Inhalt, so dass in der Endredaktion Sätze, die nicht präzise genug laufen, umgedichtet werden, was den Texten nur selten zum Vorteil gereicht. Zum Ausgleich ist (glaube ich) das Berlin Programm die am ordentlichsten aussehende Zeitschrift der Welt, also werde ich mich vielleicht eines Tages selbst daran noch gewöhnen.

Nachbemerkung: Im März 2020 musste die Zeitschrift ihre Arbeit einstellen. Da es wegen des Lockdowns keine Veranstaltungen in der Stadt (und im Land) gab, entfiel die Geschäftsgrundlage. Ich vermisse das Berlin Programm.